Gesundheitspolitik: Was plant die Ampel-Regierung?

Gesundheitspolitik: Was plant die Ampel-Regierung?

Die Gesundheitspolitik ist für viele Menschen in Deutschland zu einem roten Tuch geworden. Der Zustand des Gesundheitssystems, der bereits zuvor kritisch war, besserte sich auch unter Gesundheitsminister Spahn in den Jahren 2018 bis 2021 nicht. Im Gegenteil: Seit Beginn der Corona-Pandemie wird immer deutlicher, dass das bisherige System des öffentlichen Gesundheitsdienstes dringend überarbeitet werden muss. 

Mitten in der Corona-Krise wurde nun eine neue Bundesregierung gewählt, die viele schwierige Aufgaben vor sich hat. Neben dem neuen Bundeskanzler Olaf Scholz steht dabei vor allem ein ehemaliger SPD-Gesundheitsexperte im Fokus. So ist seit dem 8. Dezember 2021 der studierte Mediziner und Gesundheitsökonom Karl Lauterbach Gesundheitsminister.

Der SPD-Politiker möchte dabei nicht nur Informationen zum Coronavirus verbreiten oder die Omikron-Variante bekämpfen. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung sowie dem Gesundheitsministerium möchte er das Gesundheitssystem in Deutschland wieder auf Vordermann bringen. Doch was genau haben Karl Lauterbach (SPD) und Co geplant? Und reichen die Pläne der Ampel-Regierung aus? 

Wir haben uns den aktuellen Koalitionsvertrag genauer angeschaut und dabei besonderes Augenmerk auf die Gesundheitspolitik gelegt. Was wir dabei herausgefunden haben, möchten wir Ihnen hier in Kurzform vorstellen: 

Ampel-Regierung im Deutschen Bundestag in Berlin
Im Bundestag in Berlin will die Ampel-Regierung die Gesundheits- und Pflegepolitik reformieren

Ziele und Pläne der Ampel-Koalition

Generelles Ziel der neuen Ampel-Regierung soll es nach dem 177-seitigen Koalitionsvertrag sein, einen Sozialstaat zu schaffen, in dem alle Menschen abgesichert sind und die Möglichkeit erhalten, neue Chancen zu ergreifen. In der Stadt sowie auf dem Land soll dabei eine "moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik" eingeführt werden. Denn die Corona-Pandemie und die epidemische Lage von nationaler Tragweite haben Bund und Ländern gezeigt, dass das Gesundheitswesen äußerst verletzlich ist. 

Demnach soll nun für "eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung sowie eine menschliche und qualitativ hochwertige Medizin und Pflege" gesorgt werden. Wie genau das verwirklicht werden soll, wird unter dem Kapitel "Pflege und Gesundheit" auf den Seiten 80 bis 88 dargelegt. Damit misst die neue Bundesregierung der Gesundheitspolitik auf acht Seiten eine durchaus wichtige Rolle bei. Wir fassen die 13 wichtigsten Zielsetzungen für Sie zusammen: 

1. Bonus für Pflegekräfte

Die erste wichtige Entscheidung der Koalition betrifft die Pflegekräfte. Diese sind nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie enormen Belastungen ausgesetzt. Deshalb stellt der Bund insgesamt eine Milliarde Euro für die Zahlung von Boni zur Verfügung. Zugleich soll die Steuerfreiheit des Pflegebonus auf 3.000 Euro angehoben werden.

2. Dynamisierung des Pflegegelds

Die Ampel-Parteien haben sich vorgenommen, das Pflegegeld ab 2022 regelhaft zu dynamisieren. Zeitgleich sollen die Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetze weiterentwickelt werden. So soll pflegenden Angehörigen und Nahestehenden "mehr Zeitsouveränität" ermöglicht werden. Dazu sollen sie "im Falle pflegebedingter Auszeiten" auch eine Lohnersatzleistung erhalten. Somit soll die häusliche Pflege insgesamt gestärkt und deutlich vereinfacht werden.

3. Stationäre Pflege

Der Eigenanteil für Menschen in vollstationärer Pflege soll zukünftig begrenzt und planbar gemacht werden. Zudem wird die Bundesregierung die am 1. Januar 2022 in Kraft getretene Regelung zu prozentualen Zuschüssen zu den Eigenanteilen "beobachten und prüfen, wie der Eigenanteil weiter abgesenkt werden kann".

Vor allem in der Langzeitpflege sollen zudem die Löhne und Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte verbessert werden, "mit dem Ziel, die Gehaltslücke zwischen Kranken- und Altenpflege zu schließen". Dadurch sowie durch weitere Anreize soll der Pflegeberuf wieder attraktiver werden. Dies wird letztlich auch zu einer Verbesserung der Bedingungen für Patientinnen und Patienten führen.

4. Höhere Beiträge zur Pflegeversicherung

Um die steigenden Pflegekosten zu kompensieren, soll der Beitrag zur Sozialen Pflegeversicherung (SPV) moderat angehoben werden. Die Belastungen für Bürgerinnen und Bürger soll dennoch nicht übermäßig ansteigen beziehungsweise im besten Falle unverändert bleiben. Dazu wird die Ausbildungskostenumlage aus den Eigenanteilen herausgenommen.

Zudem sollen "versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige und die pandemiebedingten Zusatzkosten aus Steuermitteln" finanziert werden. Beitragszahler sollen so entlastet werden. 

Arzt mit Kittel und Stethoskop erfreut sich über Gesundheitspolitik der Ampel-Koalition
Wichtige Entscheidung der Koalition: Bonus für Pflegekräfte


5. Mitspracherecht für Patienten

Bislang hatten Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung keinerlei Mitspracherecht, was die von der Krankenkasse bezahlten Leistungen betrifft. Die Ampel-Regierung möchte das ändern und die gesetzlichen Versicherer stärker in die Pflicht nehmen. So sollen die Entscheidungen der Selbstverwaltung durch eine Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) beschleunigt werden.

Zudem sollen der Pflege und anderen Gesundheitsberufen "weitere Mitsprachemöglichkeiten" eingeräumt werden, "sobald sie betroffen sind".  Das bedeutet, dass diese künftig an den Entscheidungen über den bundesweiten Behandlungskatalog beteiligt werden. Dieses Recht war bislang einzig Vertretern der Krankenkassen, niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern vorbehalten. Patientenvertreter hingegen hatten bislang kein Stimmrecht.

Zeitgleich wird die Stellung der Patientinnen und Patienten bei Behandlungsfehlern im bestehenden Haftungssystem gestärkt. Besonderer Vorteil: Durch die Einrichtung eines "Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen" soll die Belastung der Betroffenen möglichst gering gehalten werden.

6. Reform des Notruf-Systems

Die Koalitionsparteien möchten die Notruf-Systeme der Feuerwehr (112) sowie des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes (116117) zukünftig deutlich besser verzahnen. Ziel ist es, eine "bedarfsgerechte Steuerung" zu ermöglichen. Dies soll "durch eine Verschränkung der Rettungsleitstellen mit den KV-Leitstellen und standardisierten Einschätzungssystemen (telefonisch, telemedizinisch oder vor Ort)" realisiert werden. So sollen Betroffene immer schnellstmöglich die Hilfe bekommen, die sie auch wirklich benötigen.

7. Ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung

Ziel der Bundesregierung ist der Ausbau einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung. Dies gilt sowohl für den stationären als auch den ambulanten Bereich. Zeitgleich soll die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen verbessert werden. Daher soll die Gründung kommunal getragener Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) erleichtert werden.

Die klassischen Honorar-Budgets für Hausärzte sollen zukünftig wegfallen. Zeitgleich soll der Ausbau multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren vorangetrieben werden. Dadurch wollen die Beteiligten eine "wohnortnahe, bedarfsgerechte, ambulante und kurzstationäre Versorgung" sicherstellen. Diese möchten sie durch "spezifische Vergütungsstrukturen" fördern.

Die Ampel möchte eine innovative Versorgung ermöglichen. Dazu werden "in besonders benachteiligten Kommunen und Stadtteilen (5 Prozent) {...} niedrigschwellige Beratungsangebote (z.B Gesundheitskioske) für Behandlung und Prävention" eingerichtet. Zeitgleich sollen Gemeindeschwestern oder -lotsen im ländlichen Raum weitere Angebote bereitstellen.

Kassenärztliche Vereinigungen sollen die ambulante Notfallversorgung in enger Zusammenarbeit mit den Kliniken in integrierten Notfallzentren künftig selbst sicherstellen können. Alternativ kann diese Verantwortung teilweise oder gänzlich auf die Betreiber übertragen werden. Das Rettungswesen als Ganzes wird als integrierter Leistungsbereich in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aufgenommen.

8. Reform der Krankenhäuser

Das Krankenhaussystem in Deutschland soll von Grund auf reformiert werden. Ziel sei eine "moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung". Dazu soll eine speziell dafür eingesetzte Regierungskommission "Leitplanken für eine auf Leistungsgruppen und Versorgungsstufen basierende und sich an Kriterien wie der Erreichbarkeit und der demographischen Entwicklung orientierende Krankenhausplanung erarbeiten". Die Finanzierung der Krankenhäuser soll insgesamt weiterentwickelt werden.

Dazu wird "das bisherige System um ein nach Versorgungsstufen (Primär-, Grund-, Regel-, Maximalversorgung, Uniklinika) differenziertes System erlösunabhängiger Vorhaltepauschalen ergänzt." Das soll den finanziellen Spielraum der Krankenhäuser vergrößern und die Qualität der Versorgung langfristig verbessern. Davon werden letztlich auch die Patientinnen und Patienten profitieren. 

Medikamente durch Weiterentwicklung der Apotheken
Apotheken sollen künftig mit mehr Rechten ausgestattet werden



9. Weiterentwicklung der Apotheken

Auch Apotheken sollen sich weiterentwickeln und werden dazu mit zusätzlichen Rechten ausgestattet. Pharmazeutische Dienstleistungen sollen künftig stärker honoriert werden, indem das "Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken" angepasst wird.

Das bringt auch einige Neuerungen für Patientinnen und Patienten mit sich. Denn Apotheken dürfen und sollen künftig weitere Dienstleistungen anbieten. Dazu zählen beispielsweise Vorsorge und Früherkennung zu klassischen Volkskrankheiten, Sicherheitsanalysen für Arzneimittel sowie die Beratung bei mangelnder Therapietreue.

10. Legalisierung von Cannabis

Eine der wohl überraschendsten und derzeit umstrittensten Entscheidungen der Ampel-Regierung betrifft die Legalisierung von Cannabis. Hier wollen die Ampel-Parteien künftig "die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften" einführen. Das bedeutet: Marihuana kann dann ganz legal käuflich erworben werden.

Auf diese Weise wollen die Regierungsparteien die Qualität kontrollieren und die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindern. Zur Wahrung des Jugendschutzes beträgt das Mindestalter für den Erwerb von Cannabis 18 Jahre. Das Gesetz soll nach vier Jahren "auf gesellschaftliche Auswirkungen" evaluiert und gegebenenfalls angepasst oder rückgängig gemacht werden.

11. Aufklärungskampagnen zu Alkohol und Nikotin

Kinder, Jugendliche und auch Schwangere sollen stärker in Schutz genommen werden, wenn es um Alkohol, Nikotin und auch Cannabis geht. So setzt sich die Koalition für eine verstärkte Aufklärung zur Prävention ein. Dazu werden "die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis" deutlich verschärft. Demnach soll vor allem den besonders gefährdeten Gruppen die Gefahr der Substanzen verdeutlicht werden.

12. Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen

Immer noch gelten psychische Krankheiten für viele Menschen als Tabu-Thema. Betroffene schämen sich häufig für ihre Krankheit. Außenstehende hingegen verstehen sie nicht oder nehmen sie nicht ernst. Die Ampel-Koalition möchte das endlich ändern.

So soll eine "bundesweite Aufklärungskampagne zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen" gestartet werden. Doch dabei allein soll es nicht bleiben. Zusätzlich soll die psychotherapeutische Bedarfsplanung reformiert werden. Ziel sei es, "Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz, insbesondere für Kinder- und Jugendliche, aber auch in ländlichen und strukturschwachen Gebieten deutlich zu reduzieren".

Zusätzlich dazu wird die "ambulante psychotherapeutische Versorgung insbesondere für Patienten mit schweren und komplexen Erkrankungen" verbessert und "der Zugang zu ambulanten Komplexleistungen" sichergestellt. Dazu werde man die Kapazitäten "bedarfsgerecht, passgenau und stärker koordiniert" ausbauen.

Im stationären Bereich sollen eine "leitliniengerechte psychotherapeutische Versorgung und eine bedarfsgerechte Personalausstattung" ermöglicht werden. Auch soll die psychiatrische Notfall- und Krisenversorgung bundesweit flächendeckend ausgebaut werden. Kurzum: Menschen mit einer psychischen Erkrankungen sollen künftig die Hilfe erhalten, die ihnen zusteht.

13. Änderungen bei Krankenkassen

Die neue Bundesregierung bekennt sich zu einer "stabilen und verlässlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)" und will den Zuschuss des Bundes daher regelhaft dynamisieren. Höhere Beiträge für Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen sollen aus Steuermitteln gezahlt werden. Zudem sollen die "Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittelpreise" gestärkt werden, um die Preise auch für die Verbraucherinnen so niedrig wie möglich zu halten.

Zeitgleich werden die gesetzlichen Krankenkassen dazu verpflichtet, "ihre Service- und Versorgungsqualität zukünftig anhand von einheitlichen Mindestkriterien" offenzulegen. Ein weiterer Vorteil: Krankenkassen sollen ihren gesetzlich Versicherten zukünftig auch "monetäre Boni für die Teilnahme an Präventionsprogrammen" gewähren dürfen.

Für Kinder und Jugendliche in der Privaten Krankenversicherung (PKV) soll künftig das Prinzip der Direktabrechnung gelten. Das bedeutet: Der Kinder- und Jugendarzt rechnet seine Leistungen dann direkt mit der PKV ab. Er bezieht das Geld somit direkt von der Krankenkasse. Die Patientinnen und Patienten müssen also nicht mehr in Vorkasse gehen.

Ebenfalls wichtig: Die Regierungsparteien möchten "für Menschen mit ungeklärtem Versicherungsstatus, wie insbesondere Wohnungslose, den Zugang zur Krankenversicherung und zur Versorgung prüfen und im Sinne der Betroffenen klären." Dies soll den Zugang zu medizinischer Versorgung für alle Menschen in Deutschland deutlich vereinfachen. 

Glückliches Paar beim Picknick am Strand freut sich über Koalitionsvertrag
Die Teilnahme an Präventionsprogrammen kann sich zukünftig für gesetzlich Versicherte finanziell lohnen

Fazit

Die Regierungsparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag eine Vielzahl allgemeiner Absichten im Rahmen der Gesundheits- und Pflegepolitik genannt. Allerdings bleiben viele Detailfragen bislang ungeklärt. Daher müssen wir zunächst abwarten, ob die Pläne der neuen Bundesregierung überhaupt umgesetzt werden - und wenn ja, in welcher Art und Weise. Erst dann wird sich zeigen, welche Vorteile sich für die Bürgerinnen und Bürger daraus wirklich ergeben. 

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